Kloster Gethsemani

Neues

Der heilige Philipp von Zell (11.05.2018)

Der Ortsname "Zell" geht auf die Zelle zurück, in der der heilige Einsiedler Philipp gelebt hat. Für die Mönche und Einsiedler spielt die Zelle eine wichtige Rolle. "Die Zelle wird dich die Wahrheit deines Lebens lehren", heißt es in unserer Tradition. Zu den wichtigsten Kennzeichen der Zelle gehört das Freilegen der inneren Welt eines Mönchs. Viele vermeintliche Sicherheiten werden hier als Schein-Sicherheiten demaskiert. Man erkennt die verschiedenen Rollen, die gespielt werden und die Masken, die getragen werden. Man erkennt, wie vieles verdrängt und unbewusst geleugnet wird. Ein vertrautes Selbstbild wird zerstört. Davon kann eine große Bedrohung ausgehen und können Ängste in uns ausgelöst werden. Wer hat darauf schon Lust?

Das Sitzen in der Stille, das Schweigen und Alleinsein führt zum Nach-Innen-Schauen und zur Selbsterkenntnis. Die eigene Wirklichkeit wird klarer und intensiver wahrgenommen. Deshalb wird das Ausharren in der Zelle als eine Art Pilgerschaft durch unsere innere Landschaft bezeichnet. Bei dieser Reise bleibt man nicht an der Oberfläche, an der Außenseite seines Lebens hängen. Es braucht Mut und tiefes Gottvertrauen, einen solch ehrlichen Blick auf sich zu werfen! Die Krise ist hier schon vorprogrammiert, weil unser Selbstbild weitgehend zertrümmert wird.

Wie es für jeden Mönch gilt, so muß es auch für den heiligen Philipp eine schockierende Erfahrung gewesen sein, sich allmählich bewusst zu werden, wie er sich in gewissem Sinn vorher ein falsches Ego-Bild aufgebaut hatte. Die Einsamkeit spiegelt ihm sein wahres Ich. So etwas muß man verdauen können. Viele Illusionen und Lebensträume sind ihm auf einmal wie ein Kartenhaus zusammengefallen.

Ja, das Ausharren in der Zelle beruht nur auf der Sehnsucht nach kristallklarer Ehrlichkeit und Wahrheit. In der Einsamkeit der Zelle hat der heilige Philipp auf das Theaterstück seines Lebens geschaut. Dabei ist eine Flut von nicht verarbeiteten Enttäuschungen und Frustrationen in ihm an die Oberfläche gekommen. Vieles, was ihm bisher heilig war und Bedeutung hatte, ging zu Bruch. Was einmal wichtig und wertvoll für ihn war, schien auf einmal ohne Bedeutung. Damit war Philipp in gewisser Weise ein "Fremder" in dieser Welt geworden; das ist ein Wort, mit dem man einen Einsiedler gern bezeichnet.

Seine tiefe Menschenkenntnis verdankte der heilige Philipp dem Leben in der Zelle. Seine Autorität war gegründet auf seine eigene Erfahrung und nicht auf eine Theorie. Das spürten die Menschen. Wer zu seinem wahren Selbst durchgedrungen ist, kommt mit sich selbst ins Gleichgewicht und wird ein ausgeglichener, heiler Mensch, tatsächlich ein Heiliger im wahrsten Sinne des Wortes. Weil Philipp zutiefst zu sich selbst gekommen war und damit das Geheimnis Gottes berührt hat, nach dessen Ebenbild wir geschaffen sind, wird er als Heiliger verehrt. Das erklärt auch, warum so viele Menschen mit ihren Sorgen, Leiden und Krankheiten zu ihm gepilgert sind. Menschen, die wie der heilige Philipp aus ihrer Mitte heraus leben, strahlen eine machtvolle heilende Präsenz aus.

Die Heilungen des heiligen Philipp waren nicht irgendwelche Taten eines alternativen Heilpraktikers oder ein aufsehenerregendes Spektakel. Sondern sie geschahen aus einer tiefen Gottverbundenheit heraus und lockten die Heilkräfte hervor, die in jedem stecken. Mit seinen kraftvollen Worten bringt der heilige Philipp von Zell die Kranken in Berührung mit ihrer eigenen Kraft. In der Begegnung mit ihm begegnen die Menschen ihrer eigenen Wahrheit.

Das Geheimnis des heiligen Philipp liegt darin, dass er verstanden hat, dass man Gott nicht nahe kommen kann und gleichzeitig so bleiben will, wie und wo man ist. Auch wir müssen unsere eigenen Schattenseiten erkennen lernen und mit uns selbst ins Reine kommen. Wer zu seinem innersten Mittelpunkt durchdringt, erfährt, dass er getragen und gehalten wird von Gott. Das möge auch uns allen gegeben werden.

Wenden wir uns vertrauensvoll an den heiligen Einsiedler Philipp von Zell, damit wir auf seine Fürsprache hin Kraft und Beistand bekommen, um heile Menschen zu werden.

(Predigt von Dom Chris am 6. Mai 2018 zum Fest des heiligen Philipp von Zell)