Kloster Gethsemani

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Aufnahme Mariens in den Himmel

Jeder Mensch ist eine Welt für sich, eine eigene, unverwechsel- bare Welt. In jedem Menschen leben die Erlebnisse und Erfah- rungen seiner Vergangenheit. Tief in unserem Unbewussten ruht die Erfahrung unserer ersten Liebe, die Erfahrung des ersten Schmerzes, das Erlebnis des ersten Schnees. Und weil jeder seine ganz eigenen Erfahrungen hat, die nur er machen konnte und die nur ihm gehören, darum ist jeder Mensch ein kostbares und unbegreifliches Geheimnis. Wenn ein Mensch stirbt, dann stirbt mit ihm sein erstes Weihnachten und sein erstes Gewitter - all sein Lieben und sein Leiden, seine Freude und sein Schmerz. Wenn ein Mensch stirbt, dann geht jedes Mal eine noch nie da gewesene, einmalige, ganz persönliche Welt unter.

Dieses Betroffensein von der unverwechselbaren und geheimnis- vollen Welt, die zu jedem Menschen gehört, ist eine unbedingt notwendige Voraussetzung, um überhaupt begreifen zu können, was gemeint ist, wenn wir sagen, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen ist. Diese Aussage meint, dass der ganze Mensch zu Gott gelangt - der ganze Mensch mit all seinen Erfahrungen, mit all den Worten, die er gesprochen und mit all den Taten, die er getan hat. Dies alles ist unendlich mehr als eine abstrakte Seele. Deshalb ist es nicht vorstellbar, dass im Tod nur die Seele des Menschen vor Gott hintritt. Im Tod tritt der ganze Mensch "mit Leib und Seele", das heisst, mit der gesamten unverwechselbaren Geschichte seines Lebens vor Gott hin. Auch Maria hat ihre eigene, ganz persönliche Existenz mit zu Gott genommen, und durch Ihn wurde diese in eine neue Existenz verklärt und erhöht.

Liebe Schwestern,
Maria ist das Urbild der Kirche. An jedem ihrer Feste feiern wir sie nicht nur als eine einzelne Person, sondern in ihr auch das Geheimnis der Kirche. So geht es heute auch um unseren eigenen Glaubensweg. Dieser Festtag sagt uns, dass alle, die sich auf Gottes Ruf einlassen wie Maria, "auf keinen Sand gebaut haben". Wen Gott ruft, den führt er zum Leben. Das gilt erst recht für das Leben nach dem Tod, in dem sich die Gemeinschaft mit Gott vollenden soll, die hier auf der Erde begonnen hat.

(Ansprache von Dom Chris zum 15. August, dem Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel)